Schulden

Kommunalentschuldung in Baden-Württemberg

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD auf Bundesebene kann im Internet abgerufen werden (im Folgenden zitiert nach WiWo). Aktuell stehen aus Perspektive der Kommunalfinanzen die vorgesehenen Investitionsförderungen und deren Verteilung, (un-)bürokratische Weiterreichung über die Länder an die Kommunen etc. im Fokus. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag (S. 52) zum Sondervermögen Infrastruktur: „Dabei ist für Länder und Kommunen, die einen Großteil der Investitionstätigkeit in Deutschland stemmen, ein Anteil von100 Milliarden Euro vorgesehen. Weitere 100 Milliarden Euro werden schrittweise dem Klima- und Transformationsfonds zugeführt.“ Daneben wird mit der Aufweichung der Schuldenbremsenregelung auch der Verschuldungsspielraum der Länder erhöht, wovon sich Kommunalvertreter ebenfalls Verbesserungen ihrer Finanzsituation erhoffen.

Städtetag Baden-Württemberg: Ein finanzieller Kraftakt ist notwendig – sonst droht der kommunale Stillstand, Presseinformation vom 2. April 2025

Die Kommunen sind seit Jahren für den Großteil aller öffentlichen Investitionen in Deutschland verantwortlich. Vor Ort erfahren die Menschen am ehesten das Funktionieren Öffentlicher Infrastruktur oder eben auch nicht. Seit Jahren werden kommunale Investitionsstaus beklagt und z.B. mit dem Kommunalpanel beziffert.

KfW Bankengruppe (Hrsg.), Difu (Bearbeiter): KfW-Kommunalpanel 2024

Insofern ist die Fokussierung auf die Investitionsthematik nachvollziehbar. Gleichwohl sind für die Kommunalfinanzsituation auch weitere Themen aus dem Koalitionsvertrag von Relevanz, etwa auch die Thematik der Kommunalverschuldung. Dazu besagt der Koalitionsvertrag (S. 55): „Zur Lösung der kommunalen Altschuldenproblematik wird sich der Bund in dieser Legislatur mit 250 Millionen Euro pro Jahr an Maßnahmen der Länder, die ihre Kommunen durch eine landesseitige Übernahme übermäßiger Kassenkredite entlasten, finanziell zur Hälfte beteiligen. Der Bund wird für den gleichen Zeitraum die Geberländer im bundesstaatlichen Finanzausgleich um 400 Millionen Euro pro Jahr entlasten. Diese Summe ist entsprechend des Anteils des jeweiligen Landes an den Gesamtnettozahlungen in den Finanzausgleich aufzuteilen und an dieses direkt zu leisten.“

Die Formulierung im Koalitionsvertrag ist recht vage. Sie lässt offen, welche Länder in welcher Höhe beteiligt werden und wie das Geld verteilt werden soll. Formuliert ist, dass eine Entlastung der von übermäßigen Kassenkrediten betroffenen Kommunen angestrebt wird. Gleichzeitig wird das Finanzvolumen beziffert. Bemerkenswert ist auch die Verknüpfung mit dem bundesstaatlichen Finanzausgleich. Zahlen Geberländer dort weniger ein/werden Mittel erstattet, haben sie mehr eigene Mittel zur Verfügung. Das kann wiederum Relevanz für die Kommunen des betreffenden Landes haben.

Trivial werden die konkreten Lösungen und Verhandlungen zur Altschuldenregelung in Kombination mit dem bundesstaatlichen Finanzausgleich sicher nicht – relevante Fragen dürften u.a. sein:

  • Wie geht man mit der Befürchtung einer Lex Nordrhein-Westfalen um; in diesem Flächenland gibt es vergleichsweise große Kassenkreditbeträge und im Unterschied zu anderen (ehemaligen und aktuellen) Hochkassenkreditländern gab es bislang keine vergleichbar merklichen Initiativen zur Entschuldung. Beispielsweise in Hessen wurden mit dem Kommunalen Schutzschirm und der Hessenkasse sogar zwei Kommunalentschuldungsprogramme umgesetzt.
  • Gibt es Bedingungen (der Länder) bei der Kommunalentschuldung, etwa im Gegenzug umzusetzende Konsolidierungsanstrengungen der Kommunen oder die Verbesserung des Rechtsregimes zur Aufnahme von Kassenkrediten und nicht zuletzt die Frage, wie kann mit einer ausreichenden Finanzausstattung künftigen Kassenkrediten vorgebeugt werden.
  • Profitieren auch Kommunen in Ländern ohne nennenswerte Kassenkreditbestände von der Kommunalentschuldung wie z.B. Baden-Württemberg und wenn ja, in welcher Form.

Für die Kommunen in Baden-Württemberg wird die Diskussion um die Altschuldenhilfe und ob oder inwieweit daraus Mittel für wen in welcher Höhe zu erwarten sind in jedem Fall nicht einfach: Mittels vorläufiger Daten kann die Kernhaushaltsverschuldung gegenwärtig im länderübergreifenden Maßstab zum 31. Dezember 2024 nachvollzogen werden. Die Kommunen in Baden-Württemberg zeichnen sich bei den Kernhaushaltsschulden Ende des Jahres 2024 durch vergleichsweise niedrige Werte aus. Mit Geldschulden des Kernhaushaltes von insgesamt 832 Euro je Einwohner liegt der baden-württembergische Wert deutlich unterhalb des Flächenländerdurchschnittes (1.879 Euro je Einwohner). Der Abstand zum bayerischen Wert von 1.436 Euro je Einwohner ist ebenfalls hoch.

Gerade die als Krisenphänomen geltenden und im Koalitionsvertrag explizit benannten Kassenkredite spielen in Baden-Württemberg mit 86 Euro je Einwohner nur eine sehr geringe Rolle. In Bayern ist die Höhe der Kassenkredite mit 39 Euro je Einwohner allerdings sogar noch niedriger als in Baden-Württemberg. Im Flächenländerdurchschnitt liegen die für laufende Ausgaben aufgenommenen und damit nicht durch materiell geschaffene Werte gedeckten Kassenkredite bei 408 Euro je Einwohner.

Die für Baden-Württemberg auf den ersten Blick wohlwollenden Werte müssen allerdings an mindestens einer Stelle relativiert werden. So werden gerade in zahlreichen Kommunen in Baden-Württemberg Geldschulden in großem Umfang aus den Kernhaushalten ausgegliedert. Das zeigt der Blick auf die Integrierten Schulden: Neben den Kernhaushaltsgeldschulden (Kredite und Kassenkredite) stehen die Geldschulden der kommunalen Ausgliederungen (FEUs – Fonds, Einrichtungen und Unternehmen).  Sie werden mit den Kernhaushaltsschulden als sog. Integrierte Schulden statistisch publiziert – aktuell jedoch nur für Ende des Jahres 2023. Für die Integrierten Schulden werden neben den Kernhaushaltsschulden auch die Schulden der Ausgliederungen aus dem Kernhaushalt bis in tiefe Beteiligungsstufen abgebildet und den Kommunen zugeordnet. Mit den Integrierten Schulden lassen sich Kommunen unabhängig vom Grad der Ausgliederung ihrer Aufgaben vergleichen.

In Baden-Württemberg ist die Integrierte Verschuldungssituation Ende des Jahres 2023 durchschnittlich: Der Pro-Kopf-Wert der Kommunen liegt mit 4.118 Euro je Einwohner näherungsweise bei dem des Flächenländerdurchschnittes (rund 4,1 T Euro). Die Kommunen in Bayern erzielen mit 3.153 Euro nach denen in Brandenburg und Sachsen pro Kopf bundesweit die niedrigsten Integrierten Schulden. Das sind knapp 1.000 Euro geringere Pro-Kopf-Schulden als in Baden-Württemberg – ein enormer Unterschied.

Zusammenfassend wird deutlich: Der Grad der Geldschuldenauslagerung in Baden-Württemberg ist beachtlich. Und gerade deshalb unterzeichnet der alleinige Blick auf die Kernhaushaltsschulden die Kommunalverschulung in Baden-Württemberg deutlich.

Ungeachtet der letztlichen Einigung zu einer Altschuldenübernahme darf nicht ausgeblendet werden, dass die Übernahme kommunaler Kassenkredite die aktuellen Probleme keinesfalls auch nur im Ansatz bewältigen kann. An den Ursachen der Kassenkredite ändert sich nichts – letztere sind auch kaum im Detail auszumachen: Es handelt sich um einen Mix aus unterschiedlichsten Ursachen, die je nach Land und Kommune anders sein können. Denkbar sind z.B. sozioökonomisch oder strukturell bedingte Nachteile, fehlende eigene Konsolidierungsanstrengungen in Kombination mit politischen Präferenzen und Entscheidungen, schlechte Rechtsregelungen u.a. zur Kassenkreditaufnahme oder auch Unterschiede im Durchgreifen der Finanzaufsichten.

Und selbst Länder, deren Kommunen derzeit nahezu ohne Kassenkredite auskommen oder diese nur bei einzelnen eine Rolle spielen (wie Baden-Württemberg), verzeichnen aktuell negative Kommunale Finanzierungssalden in erheblicher Größenordnung. Die aus den Kassenkrediten resultierenden Folgen sind nur eine Problematik von vielen. Zentral ist, dass momentan das Einnahmewachstum nicht ausreicht, um die sehr viel stärker steigenden Ausgaben insbesondere in den Bereichen Soziales und Personal aufzufangen. Es bedarf insofern Änderungen auf der Finanzierungsseite und bei den Aufgaben und damit verbundenen Ausgaben. Eine Kassenkreditentschuldung würde ohne begleitende Maßnahmen fast zwangsläufig dazu führen, dass zumindest mancherorts Kassenkredite im Anschluss daran wieder anwachsen.